Projekt N°2
Sehr
geehrter Professor ____,
Ich
war im Februar bei Ihnen im Büro, und bin nun im Prozess der Immatrikulation an
der UZH in Geschichte und Sinologie und hätte gerne Ihre Meinung zu folgendem
Anliegen, welches ich punktuell verschiedenen Dozenten mitteilen werde.
Während einem Jahr
in Genf im Bachelor «Etudes chinoises» hatte ich für 12 ECTS Quellen und
Bücher ausgesucht und dazu Artikel geschrieben, die ich Ihnen hier verlinke:
Yantielun
鹽鉄論 von Huan Kuan: https://totalrevision.blogspot.com/2022/12/largumentation-contre-leconomie-dirigee.html
Shangqingdi 上清帝 und Datongshu 大同書 von Kang Youwei: https://totalrevision.blogspot.com/2023/05/quelle-economie-politique-kang-youwei.html
How the Red Sun
Rose, oder 紅太陽是怎樣升起的 von Gao Hua: https://totalrevision.blogspot.com/2023/05/1947-logic-of-communist-land.html
Am (mit 5.5
bestandenen) mündlichen Examen getestet wurde schliesslich: ZHAO Ziyang, Prisoner
of the State: The Secret Journal of Premier Zhao Ziyang, translated by Adi
Ignatius And Bao Pu, Simon & Schuster, 2010.
Die Aufgabestellung und Auftragsdynamik habe ich hier (auf Französisch) näher beschrieben: https://totalrevision.blogspot.com/2024/04/resultats-du-projet-n1.html
Erlauben Sie mir,
Ihnen mein Anliegen zu präsentieren, welches ich in Form eines projektorientierten
Vorschlags für mein Bachelorstudium an der Uni Zürich ab 2024 ausformuliert
habe.
Allgemeiner
Vorschlag
Obschon ich mich
in Genf mit Quellen aus vielen Epoche befasst hatte, was aus den Bibliografien
meiner Artikel heraussticht, blieb mir jedoch ein profunder Einblick in die im
Schema unten grau gekennzeichneten Epochen bewährt. In der Fortsetzung meines
Bachelorstudiums und dem Transfer meiner ETCS nach Zürich hoffe ich mir den
Werkzeugkasten eines Sinologen im deutschsprachigen Raum anzueignen und an der
Uni Zürich anzuwenden, indem ich epochengemäss Quellen mit Dozenten festlege,
über die ich (mithilfe von Sekundarliteratur) Arbeiten schreibe.
Bisherige Forschungsarbeit Sources, Genève 2022 |
Vorschlag Quellen, Zürich 2024 |
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Kämpfende Staaten und Qin
Dynastie |
Han Dynastie |
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Austausch mit Steppenvölkern
300-800* |
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Song Dynastie oder Ming Dynastie |
Späte Qing Dynastie |
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Republik |
Bürgerkrieg und Kommunistische Revolution |
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Hochkommunismus |
Reform Ära (am Examen getestet) |
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Xi Jinping-Ära |
*Ausserdem ist
Zentralasien ein Forschungsbereich, den ich epochenübergreifend ausbauen möchte
(evtl. in Hinblick auf die Bachelorarbeit). Mit den Jahreszahlen meine ich auf das
2024 erschienene Buch «Asie Centrale 300-800» von Étienne DE LA VASSIÈRE zu verweisen,
welches nun erstmals (in irgendeiner Sprache) die Disziplinen und Regionen des
Forschungsbereichs miteinander verknüpft, um zu neuen Schlüssen zu kommen. Ich
würde z.B. vorschlagen, dans un premier temps, darüber im Zusammenhang
mit einer Quelle aus dieser Zeit eine Arbeit zu schreiben.
Spezifischer
Vorschlag
Wie beim
vorherigen in Genf durchgeführten Projekt, würde sich ein gemeinsamer Leitfaden
durch die Auswahl der Quellen ziehen — eine umfangreiche, dem neuen Projekt
entsprechende politische Fragestellung; nicht mehr so sehr den in den Quellen ausformulierten
Grundhaltungen und utopischen Erwartungen, wie den realpolitischen Instrumenten
gewidmet, womit die an Erwartungen gebundenen Prioritäten des Staates umgesetzt
werden und womit Gesellschaftsprobleme mehr oder minder erfolgreich angefochten
werden. In das Konzept dieser «Resilienz» einer Gesellschaft miteinzubeziehen, ist
nämlich die Fähigkeit ihrer Glieder, die Staatsinstrumente geschichtlich zu
hinterfragen und zu erneuern. Lösungsorientierte Ansätze setzen richtige — also
das Problem richtig situierende — Fragestellungen voraus, die von Menschen
kommen können, welche Gesellschaftsprobleme unterschiedlich auffassen. Doch wenn
bestimmte Fragen zur Funktionsweise und Zweck des Staatsapparates weder
aufgebracht noch beantwortet werden, bleiben fürchterliche Probleme bestehen.
Um die Hungersnot
als konkretes Beispiel zu nehmen (wie im letzten Projektleitfaden, übrigens): Wenn
niemand sich fragt, wie der Staat Getreide überregional sichern kann, kommt
niemand auf die (bereits im Guanzi [in RICKETT’s Übersetzung] vorhandene)
Idee, in den Getreidemarkt gegenzyklisch einzugreifen, um die Reserven auszugleichen
für im Fall einer Hungersnot. (Welche Probleme wurden in China in der
Vergangenheit nicht so geschickt gelöst und welche Staatsinstrumente werden im
21. Jh. wieder geschichtlich hinterfragt? Wer beteiligt sich an deren
Erneuerung?)
Welche
institutionalisierten (oder revolutionären) Prozesse sind entstanden, die
Instrumente anzupassen (resp. zu ersetzen) versuchten? Zu welchem Zweck? Wie
veränderten sich diese Prozesse — bis heute — durch die Rezeption des
westlichen Konstitutionalismus und der Demokratie (welche wiederum aus einer
Mischung von spezifischen Fragen entstanden waren, die je nach Moment
unterschiedliche Prozeduren in Gang setzten, z.B. die Volkswahl [公舉] oder das
Losverfahren [拈鬮輪充], über deren Funktionsweise man in China ab dem Ende
der Qing Bericht erstattete, s. HILL, S.14)? Wer beteiligt sich wie daran,
angeblich «demokratische» Prozeduren, die angeblich ihren Zweck erfüllten und
es noch immer tun würden, geschichtlich zu hinterfragen? Und nach welchen
Szenarien könnten resilientere institutionelle Prozeduren entstehen, mit denen
Staatsinstrumente lösungsorientierter angepasst würden?
Konkrete Beispiele
Diese
zeitübergreifende Fragestellung würde ich an geschichtliche Episoden anpassen, bezeugt
durch Quellen, wie z.B. aus der Song und Ming Dynastien — auf die finanzpolitischen
Instrumente oder den Gebrauch von Losverfahren (usw. usf.), aber auch
literarische Quellen, wie das Shuihuzhuan
水滸傳 oder das Jinpingmei 金瓶梅, auf Textstellen, die als politische Kritik an die Institutionen ihrer Zeit
verstanden werden können, analog zu Standhal La Chartreuse de Parme oder
Dickens Bleak House fürs 19. Jh. in Europa.
Dans un deuxième
temps, nach der antiken
historischen Untersuchung politischer Welten Zentralasiens und Chinas, würde
ich einem Dozenten z.B. vorschlagen, eine Analyse der modernen Geschichte Zentralasiens
anhand von Quellen zu operieren (Texte in MALIKOV 2019). Möglicherweise in vergleichender
Perspektive mit der Zeit des Hochkommunismus in China und Quellen dazu (z.B. mit
der Hungersnot als Vergleichssubjekt anhand der Quellen in ZHOU 2012 und Autobiographien
wie WU).
Sinnvolle Vergleichspunkte
oder Vergleichszweige mit Zentralasien oder auch dem Mittelmeer und Europa —
- in den Staatsinstrumenten, wie der Industriepolitik oder Steuerregimen (XU; MA und VON GLAHN)
- in den religionspolitischen Entwicklungsfeldern, wie dem Buddhismus, dem Islam, usw. (DRÈGE; DE LA VASSIÈRE; ALPERMANN)
- sowie in institutionellen Entwicklungsrahmen, vom Rechtssystem und -verständnis der Antike bis zur Rezeption republikanischer Ideen noch heute (RICKETT; VOGELSANG; MÖGLING; HILL; ZHOU 2022)
— sind nicht schwer
zu finden. Das wirklich Innovative ist es, sie mit dem heutigen Diskurs der
chinesischen Gesellschaft unter Xi Jinping zu verbinden, sich zu fragen, wie
man sich daran beteiligt, aus dieser Geschichte zu lernen (JOHNSON; LEESE;
LEESE und SHI) und im Geiste der Fiktionsschreiber von der Yuan Dynastie bis
heute legitimierende Narrative zu hinterfragen (DENT-YOUNG; YANG; ROY; WANG)
unter dem Damokles Schwert der Feinde des historischen Nihilismus [歷史虛無主義].
Es ist höchste
Zeit, die Debatte um den historischen Nihilismus herum nach Europa zu bringen
und historisch methodologische Schlüsse zu ziehen, um chinesische wie
europäische Geschichtspolitik anzuprangern und bewusst in diesem Zusammenhang aktiv
«nihilistische» Geschichtspolitik zu führen.
Quellen im Rahmen
meines spezifischen Vorschlags
DENT-YOUNG John and Alex
(hrsg. und übers.), The Marshes of Mount Liang by Shi Nai’an and Luo
Guanzhong, Hong Kong, CUHKP, 1997. (Hinterfragung von gesellschaftlichen
Institutionen)
DRÈGE Jean-Pierre (hrsg. und
übers.), Vie de Xuanzang, pèlerin et traducteur, Paris, Les Belles
Lettres, 2023.
LEESE Daniel, SHI Ming, (hrsg. und übers.), Chinesisches
Denken der Gegenwart: Schlüsseltexte zu Politik und Gesellschaft, München,
C.H.Beck, 2023.
MALIKOV Yuriy (ed.), Modern
Central Asia: A Primary Source Reader, Lanham, Rowman & Littlefield,
2019.
MÖGLING Wilmar
(hrsg. und übers.), Die Kunst der Staatsführung: Die Schriften des Meisters
Han Fei, Leipzig, Nikol Verlag, [1994] 2023.
RICKETT W. Allyn (hrsg. und
übers.), Guanzi: Political, Economic, and Philosophical Essays from Early
China, Princeton, PUP, 1998.
ROY D.
T. (hrsg. und übers.), The Plum in the Golden Vase or, Chin P’ing Mei,
Princeton, PUP, 1993.
VOGELSANG Kai (hrsg. und übers.), Shangjun shu:
Schriften des Fürsten von Shang, Stuttgart, Kröner Verlag, 2017.
WU Ningkun, A Single Tear: A Family’s Persecution,
Love, and Endurance in Communist China, New York, Atlantic Monthly Press,
1993.
YANG
T. L. (hrsg. und übers.), Officialdom Unmasked (官場現形記), Hong Kong, HKUP, [original Chinese: 1906] 2001.
ZHOU Xun, The
Great Famine in China, 1958-1962: A Documentary History, New Haven and
London, YUP, 2012.
Sekundarliteratur
(für Kontextualisierung eventueller Quellen)
ALPERMANN
Björn, Xinjiang: China und die Uiguren, Würzburg, WUP, 2021.
DE LA
VASSIÈRE Étienne, Asie Centrale 300-800, Paris, Les Belles Lettres,
2024.
DIKÖTTER
Frank, China After Mao: The Rise of a Superpower, London, Bloomsbury
Publishing, 2022. (u.a. auf das im Hoover Institute sich befindende
Tagebuch von Li Rui basiert)
HILL Joshua, Voting as a
Rite: A History of Elections in Modern China, Cambridge (Massachusetts),
HUAC, 2019.
JOHNSON
Ian, Sparks: China’s Underground Historians and Their Battle for the Future,
New York, OUP, 2023.
LEESE Daniel, Maos Langer Schatten: Chinas Umgang
mit der Vergangenheit, München, C.H.Beck, 2020.
MA
Debin, VON GLAHN Richard, (ed.), The Cambridge Economic History of China,
Cambridge, CUP, 2022.
XU Jin, Empire of Silver: A New Monetary History of
China, translated by Stacy Mosher, London, YUP, 2021.
ZHOU Xueguang, The Logic of Governance in China: An Organizational Approach, Cambridge, CUP, 2022.