Frankfurter Buchmesse 2023: Brief an Prong Press Verlag

Lieber Rolf,

Zu erleben, wie Christiano, Du und ich an der Frankfurter Buchmesse ins Gespräch gekommen sind… war so unerwartet an diesem Tag, dass man es kaum hätte erfinden können.

Wie versprochen, berichte ich dir von zwei Projekten, die dich möglicherweise begeistern können und den Verlag weiter ausschmücken.

 

In der Reihenfolge, in der ich dir davon erzählt hatte:

Kartenspiel

Auf YouTube kannst du dir ein Erklärvideo für mein Spiel anschauen: [...] Im Anhang sende ich ein PDF, das die Spielregeln erklärt. Das Kartendesign kannst du anhand der Fotos, ebenfalls im Anhang sehen. Hinten das an Bronzekunst angelehnte Muster, vorne die Kalligraphieschrift KaiTi und die Blockdruckschrift NSimSun (in den Ecken).


Andere Spiele, die ich für meinen Chinesischunterricht einsetzte

Bei meiner Chinesischunterricht Mentorin Brigitte Koller habe ich auch schon gesehen, wie sie ein Memory einsetzt. Auch habe ich ein Memory erfunden, mit einem anderen Fokus als der Eure. Mein Spiel heisst Maodun矛盾 und hat das Ziel entgegengesetzte Zeichen aufzudecken, die zusammen ein Wort bilden, wie 上下,左右,前後 usw. (siehe ebenfalls Erklärvideo)

Auch habe ich ein Zeichnungsspiel  für die 甲骨文und die kleinsten Teilchen erfunden, um die Antike Gesellschaft regelrecht aus den Schriftzeichen herauszulocken und bin dran diesen didaktischen Ansatz zu systematisieren (über die Logik der 214 Kangxi-Zeichen hinweg), kleines Erklärvideo unter diesem Link: [...] Man erkennt meinen Ansatz ebenfalls am Verb-Würfel, den ich gebastelt habe, er hebt die respektiven kleinsten Teilchen für Hand und Fuss hervor (siehe Foto im Anhang).


Die anderen sind nicht der Rede wert, dennoch ist es wichtig zu bemerken, dass sie einem Muster folgen: ich versuche, Spiele zu erfinden, welche Funktionen der Sprache oder der Schrift in sich integrieren. Zum einen ist das für den Unterricht hilfreich, aber zum anderen bin ich davon überzeugt, dass ein Spiel, womit man eine Funktion der chinesischen Sprache lernt, einfach, indem man die Regeln lernt, viel sinnvoller ist als manch andere Spiele. Es hat einen grösseren Wert für ein Kind, ein solches Spiel zu bevorzugen. Deshalb wären die Funktionen der Sprache, die auswendig zu lernen sind, idealerweise Teil der Spiellogik, und en gros die Lerninhalte Teil der Spielinhalte.

Um dir von meinem literarischen Projekt zu berichten, muss ich noch ein wenig ausholen…

Fabelreihe
Meine Fabeln bestehen aus dem Dialog eines Tieres mit einem Denker aus der Antike, die beide jeweils eine Perspektive spiegeln, die eine zum Tier passend, die andere zu einer philosophischen Haltung aus dem antiken China. Das Konzept ist zugleich althergebracht und neuerfunden; mein Ziel ist es damit, das Genre der Fabel mit mehr Sinn zu durchtränken für die heutige Welt des 21. Jahrhunderts — unsere gesellschaftlichen Probleme sozusagen mit alten Augen zu betrachten, wobei meine frischen Ansätze mit rein verflochten werden.
Die Fabeln sind sowohl dazu gedacht, durch fiktive Persönlichkeiten erwachsene Leser mit politischer Philosophie besser zu erreichen (im Sinne der yuyan 寓言 des Zhuangzi), wie auch Kinder ab 10 Jahren erzieherisch zu begleiten. Letzteres im Sinne der eigenen Meinungsbildung und des Näherbringens der chinesischen Gedankenwelt, Tierschriftzeichen, Politik und Gesellschaft.

Zu diesem Zweck sollten Illustrationen der Szenen und andere Verbildlichungen den Text begleiten. Zum Beispiel spielt das Tierschriftzeichen für Nashorn si — obschon es nicht mehr gebraucht wird — in der Fabel «Sang Hongyang und das Nashorn» eine wichtige Rolle. Einerseits zeigt es den piktographischen Ursprung der chinesischen Schrift (vgl. die Zeichenauswahl der Fabelreihe, mit 龍,象,豸und die Komponenten des xie ), andererseits steht es symbolisch für das Sumatra-Nashorn, das im antiken China lebte, und dafür, dass es ab der Antike aus chinesischen Gegenden allmählich verschwand — genau wie auch der Gebrauch des Zeichens mit der Zeit verlorengegangen ist.


(Screenshot von https://xiaoxue.iis.sinica.edu.tw/yanbian)

Sumatra-Nashorn Skizze vom Autor

Auf YouTube kannst du dir ein Sneak-peek von meinen zwei ersten Fabeln anschauen: https://youtu.be/jTuhabERrAg

Geplant sind noch zwei weitere Fabeln — Wang Chong und der Elefant — so wie — Konfuzius und die chinesische Chimäre 獬豸. Zu Inspirationszwecken lese ich hauptsächlich Primärquellen in Übersetzung (oftmals mit dem Originaltext daneben). Einige andere Ideen sind mir dabei über den Weg gelaufen. Deshalb stelle ich mir vor, weitere antike Denker und Tiere zu inszenieren (wie der altgriechische Historiker Thukydides), wenn diese zu dem passen, was mich philosophisch und politisch beschäftigt.

Elephas Maximus Skizze vom Autor

Zum historischen Bezug sage ich noch etwas: Sang Hongyang, zum Beispiel, war für die Administration des Reiches in der Han Zeit zuständig und dafür bekannt, wirtschaftliche Massnahmen zur Stärkung des Staates eingeführt zu haben, wie ich in einem Artikel genauer erkläre (Link). Die beste Quelle zu seiner philosophischen Haltung heisst Yantielun鹽鉄論, worüber ich den Artikel geschrieben habe. Meine Recherche hat mich dazu geleitet, ihn als Hauptsprecher der ersten Fabel auszusuchen. Die ökologische Thematik war in der Quelle nämlich nicht vorhanden und dies hat mich dazu geleitet, sie zu erfinden. So entstand der Hauptgedanke der Fabel. Dennoch wäre es sinnvoll, Referenzen an die Verse anzuhängen, vielleicht in Form von Fussnoten.

Eben habe ich Ian Johnson’s Buch Sparks: China’s Underground Historians and Their Battle for the Future (2023) fertiggelesen, in dem er versucht, ein wenig wie ich es versuche, kritische Haltungen, die im alten China vorhanden waren, mit der Gegenwart zu verknüpfen (im Anfangsparagraph jedes Kapitels macht er einen Ausschweifer in die tiefe Vergangenheit, versetzt sich in Erinnerungsorte und holt sich Referenzen wie 司馬遷, 江湖 oder 十年樹木,百年樹人). Sein Buch ist voller Geschichten, die auf mich persönlich berührend wirken, weil ich ähnliche Sachen versuche, wie diese Dissidenten, die auf so viel Widerstand treffen müssen. Meine Geschichten sind eine weitere Antwort auf eine der chinesischen Intellektuellen bekannte Fragestellung: Wie verändere ich die kulturelle Wahrnehmung von politischen und ethischen Problemen in unserer Gesellschaft? Wenn ich z.B. einen Roman veröffentlichen wollte, wäre auch dies mein Leitgedanke. Eine bestimmte Romanidee verfolgt mich schon eine Weile, aber das ist ein Gesprächsthema für ein andermal. Mach’s gut.

Natürlich gelten die üblichen intellektuellen Konventionen: Alle dieser Nachricht beigefügten Texte bleiben Eigentum des Autors, und die Rechte zur Veröffentlichung der Texte (oder zur Weitergabe an andere) bleiben meiner Person vorbehalten. Die Texte werden dem Herausgeber im Hinblick auf einen möglichen Verlagsvertrag zur Verfügung gestellt; durch die Weitergabe dieser Texte wird jedoch auf keines der Urheberrechte verzichtet. Die Option, die Texte und Spiele zu veröffentlichen, zu drucken oder weiterzugeben, bleibt das ausschließliche Recht des Autors, bis ein Vertrag zwischen beiden Parteien zustande kommt.

O.D.S.

Biel/Bienne